Kreis Gütersloh, Europa liegt nebenan, von Bibliotheken und Büchereien

Bücher und Zeitungen sind zweifellos die wichtigsten Medien, sie werden aber zunehmend auch als anstrengend empfunden. Aus epistemologischer Sicht ist das gedruckte Wort dem Diskurs am zuträglichsten, denn es ist verbindlich. Das gesprochene Wort gilt hingegen als wahr. Medientheoretiker wie Marshall McLuhan und Neil Postman haben diese altbekannte Erkenntnis in der Postmoderne formuliert. Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gensfleisch Gutenberg gehört zu den größten, disruptiven Erfindungen der Kulturgeschichte. Gutenberg gilt als Begründer der »Schwarzen Kunst«, die in der jüngeren Vergangenheit mit der Abschaffung des Berufs des Schriftsetzers zerstört wurde. Die Auswirkungen waren absehbar und finden zunehmend statt. Zwar stellte Postman schon fest, dass trotz des »Sieges« des Fernsehens mehr Bücher als je zuvor gedruckt würden. Allerdings stellt er nicht die Frage, was für Bücher das sind. Während es bei einer Bibliothek in Erster Linie darum geht, sich der Bücher vor Ort bedienen zu können, steht bei einer Bücherei die Ausleihe im Vordergrund. Im Rahmen der Bestrebung, aus Büchereien sogenannte »Dritte Orte« zu machen, was nicht gelingen kann, versucht man, den Bibliotheks­charakter wieder einzuführen – jedenfalls bedient man sich des Begriffs, da er distinguierter und weniger profan klingt, als der Begriff »Bücherei«.

Im Kreis Gütersloh gibt es Büchereien beziehungsweise Bibliotheken in Borgholzhausen, Gütersloh, Halle (Westfalen), Harsewinkel (Sankt Lucia) Versmol, Clarholz (Sankt Laurentius), Langenberg, Rheda-Wiedenbrück, Rietberg, Schloß Holte-Stukenbrock, Steinhagen und Verl. Einige bezeichnen sich als »Bibliothek«, andere als »Bücherei«. Seit geraumer Zeit wird die Integration »moderner« Medien versucht, wie etwa DVDs, Multimediatechnik, es wird versucht, aus Büchereien »Lernorte« zu machen, sie als »Ort der Bildung« zu etablieren, Computerspiele, E Books, Internet und sonstige Dinge anzubieten. Jüngst wurden im Zusammenhang mit der Idee der »Library Of Things« (»Bibliothek der Dinge«) sogar »Things« (»Dinge«) wie etwa Hula-Hoop-Reifen oder Akkubohrmaschinen in den Bestand aufgenommen.

Kulturkonsumtheorie

Das geschriebene und gedruckte Wort ist das einzige Medium, das aktiv konsumiert werden muss. Außerdem muss man das Lesen lernen und dann können. Andere Medien, wie etwa die Darstellende Kunst, das Bewegbild, das Sehen und Hören, muss man nicht lernen – beides kann jeder, und Medien dieser Natur werden passiv konsumiert. Insofern ist das Hörbuch zerstörerisch. Nicht nur, dass es aus dem Buch grundsätzlich Unterhaltung macht, es beraubt es auch seines aktiven Konsumcharakters. Nicht zuletzt gibt es bei passivem Konsum kein Erfolgsgefühl, das sich bei aktivem Konsum einstellen kann, denn man hat mit dem passiven Konsum nichts erreicht. Da er aber bequemer ist, ist er auch beliebter. Bildende Kunst muss ebenfalls aktiv »konsumiert« werden … hier sind allerdings die Begriffe »Konsumieren« und »Medium« unangebracht. Kunst hat eine andere Ebene, sie ist der Gipfel der Kultur. Sprache ist die Grundlage der Kultur. Ein kluger Zeitgenosse soll beim Anblick der Leuchtreklame auf dem Times Square gesagt haben: »Wie schön das sein muss, wenn man nicht lesen kann«. Dass er Recht hat, lässt sich leicht überprüfen. Die Leuchtreklame in China Town oder in Chinesischen Städten hat durchaus ein ästhetisches Moment, weil man Chinesisch nicht lesen kann. Könnte man es, wäre man wohl enttäuscht.

Das Hörbuch ist fast ebenso zerstörerisch wie Literaturverfilmungen. Gerne wird bei Letzteren damit argumentiert, man könne sich das Gesagte dann besser vorstellen. Das Gegenteil ist der Fall, denn man muss und kann sich gar nichts mehr vorstellen, denn es wird durch die Bilder vorgestellt. Was man sieht, kann und muss man sich nicht vorstellen, es ist visuell (und nicht mehr virtuell). Das Vorstellen übernehmen Regisseur, Kameramann und vor allem Schauspieler. Nicht umsonst sagte ein bekannter Psychologe, Fernsehen sei für das Gehirn auf einer gewissen Ebene in etwa das Gleiche wie das Anstarren einer weißen Wand. Analog dazu ist das Hören von Gesagtem das Gleiche wie Stille. Passiver Konsum bedarf keiner Phantasie und lässt wenig Deutungsspielraum, denn man sieht ja, wie es ist. Die vermeintliche Realität wird in Erster Linie optisch wahrgenommen. So kann aber nichts kreiert werden, es kann nichts entstehen. Großen ­Ideen beginnen als Vorstellung, als Fantasie, als Gedanken. Bestenfalls kann man nach dem Konsum eines Harry Potter Filmes eine Bastelstunde veranstalten – das ist aber keine Kreation, das ist schlechterdings Adaption. Insofern ist auch der Begriff des »Literarischen Interesses« nur auf den Ersten Blick originell. Es sei denn, er würde auf reine Unterhaltung abstellen. Und das tut er ja auch. Erhebt dabei aber begrifflich den Anspruch, das nicht zu tun.

Die Stadtbibliothek Rheda-Wiedenbrück tut sich mit der Reihe »Living Library – leih dir einen Menschen« hervor, die in Zusammenarbeit mit dem Kloster Wiedenbrück stattfindet, das sich sehr aktiv als geistiger (nicht geistlicher) Kulturort präsentiert. Menschen schlüpfen bei der Reihe mit ihren Lebensgeschichten in die Rolle lebendiger Bücher, die sich Besucher der Bibliothek dann für eine Gesprächszeit von 30 Minuten ausleihen können. Das Projekt der »Living Library« in Rheda-Wiedenbrück steht unter dem Thema »Leben in unserer Stadt« und ist ein Gemeinschaftsprojekt von Gruppen, die dadurch Vorurteile und Berührungsängste in der Gesellschaft abbauen möchten. Ein bestechendes Projekt. Allerdings ist der Begriff »Buch« unangebracht, denn mit einem Buch findet kein Dialog statt. Ein Buch ist ein Monolog des Autors, und er weiß noch nicht einmal, wer »zuhört« (liest), oder ob das überhaupt jemand tut.