Der »lang erhoffte Höhlenmüller« – LWL Fachleute finden Nadel im Heuhaufen

  • Winziger Backenzahn eines spitzmausgroßen Säugetiers sorgt für Begeisterung

Münster, 31. Juli 2023

Fachleute des sogenannten Landschaftsverbandes Westfalen Lippe (LWL) graben seit 20 Jahren in einer Dinosaurier Fundstelle bei Balve im Sauerland. Ein internationales Forscherteam mit Beteiligung des LWL Museums für Naturkunde in MünsterExternal Link hat jetzt ein weiteres Kleinod aus der Zeit der #Dinosaurier wissenschaftlich veröffentlicht und somit der Öffentlichkeit vorgestellt. Es handelt sich um einen einzelnen Backenzahn eines spitzmausgroßen Säugetiers, das in #Westfalen vor 125 Millionen Jahren gelebt hat.

Die #Fundstelle hat bereits viele bedeutsame Fossilien geliefert. Vor einer Information der Öffentlichkeit zu neuen, besonderen Funden, steht die #Grabung, #Präparation, #Erforschung und wissenschaftliche Veröffentlichung. Das kann manchmal Jahre dauern. Das Team rund um den #LWL #Wissenschaftler und Grabungsleiter Dr. Achim Schwermann hat in den vergangenen Jahren bereits einzelne Wirbel von einem neuartigen Salamander und ebenfalls einzelne Zähne von bislang 5 Säugetierarten entdeckt, die nur wenige Millimeter groß und weltweit einzigartig sind. Nun kommt eine sechste Säugetierart hinzu. Auch diese war vorher weltweit noch nicht bekannt.

»Die Säugetier Funde sind in Balve sehr selten. Aus 20 Jahren Grabung haben wir ungefähr 25 Exemplare, in der Regel sind es einzelne Zähne. Erstaunlich ist, dass diese wenigen Zähne eine so hohe Diversität repräsentieren«, so der LWL Dinosaurierexperte Schwermann. Er leitet die Grabung seit 2017. Seitdem suchte er nach einem Nachweis für die Säugetiergruppe der Tribosphenida, zu der auch die heutigen Plazenta und Beuteltiere, also die meisten Säugetiere der Jetztzeit gehören. Bislang wurden Nachweise für verschiedene andere Großgruppen der Säugetiere in Balve erbracht, darunter auch frühe Pflanzenfresser. Sie gehören jedoch allesamt zu Gruppen, die schon vor langer Zeit ausgestorben sind. Nun beweist ein einzelner Zahn, dass die gesuchte Gruppe der Tribosphenida, bereits vor 125 Millionen Jahren in Westfalen vertreten war. 

Perfekt erhaltene Rarität

»Der Zahn ist perfekt erhalten«, schwärmt Prof. Dr. Thomas Martin. Er ist Experte für Säugetiere aus der Zeit der Dinosaurier an der Universität Bonn. »Absolut bemerkenswert ist, dass dies erst der sechste Zahn dieser Tiergruppe ist, den wir aus der Zeit der Unterkreide in Europa kennen. Für das europäische Festland ist es sogar der erste Zahn dieser Art, alle anderen stammen aus England.« Eine absolute Rarität also, die aber nicht überraschend kam. »Wir wussten schon vorher, dass es zu der Zeit, als die Ablagerungen in Balve entstanden sind, diese Säugetiergruppe gegeben hat. Es bestand also immer Hoffnung, dass wir diese Gruppe belegen können«, erklärt Schwermann. »Allerdings sind die Tribosphenida unter den Säugetierfossilien aus der Zeit der Unterkreide große Seltenheiten. Tatsächlich haben wir also mehr von so einem Fund geträumt, als dass wir gehofft haben.«

Zu welchem Tier gehört der Zahn?

Hinter dem Zahn verbirgt sich ein sehr kleines Tier. Die Zahnkrone ist lediglich 1,6 Millimeter lang. Die Form zeigt, dass es sich um einen linken, unteren Backenzahn handelt. Die einzelnen Höcker der Zahnkrone sind im vorderen Bereich sehr spitz, ein Merkmal, das auf eine Ernährung als Insektenfresser hinweist. Im hinteren Bereich schließt sich ein flaches Becken an. "Dies ist eine Schlüsselentwicklung gewesen, die zum evolutiven Erfolg der Tribosphenida beigetragen hat. In dieses Becken greift ein Höcker aus dem entgegengesetzten Backenzahn des Oberkiefers. Es entsteht eine Kombination, die mit einem Mörser vergleichbar ist", so Schwermann. »Diese Tiere konnten nun nicht nur Nahrung mit spitzen Höckern zerschneiden, sondern sie auch zermahlen. Das bot Möglichkeiten zur Erschließung neuer #Nahrungsquellen«, ergänzt Martin. 

Die Nadel im Heuhaufen

Säugetiere, also die Tiergruppe, zu der heute unter anderem Mäuse, Wale, Kängurus, Schnabeltiere und auch Menschen gehören, haben eine ähnlich weit zurückreichende Vergangenheit wie Dinosaurier. Allerdings brachten sie über Millionen von Jahren zunächst nur kleine Formen hervor. Die Säugetiere sind bis zum Aussterbeereignis vor 66 Millionen Jahren, bei dem bis auf die Vögel alle Dinosaurier verschwunden sind, von ihrer Körpergröße recht klein gewesen. »Entsprechend klein sind auch ihre Fossilien. Fundstellen, die Fossilien von Säugetieren aus der Zeit der Dinosaurier liefern, sind weltweit selten und die winzigen Ãœberreste zu finden ist eine mühselige und langwierige Aufgabe. Es gleicht der Suche nach der #Nadel im #Heuhaufen«, sagt Schwermann. «In Balve schlämmen wir jeden Sommer etliche Tonnen Sedimente aus der Zeit der Dinosaurier, um auch noch die kleinsten Reste von damaligen #Wirbeltieren zu finden«, so der LWL Experte. Unter »Schlämmen« wird das Waschen der Ablagerungen über verschiedene Siebe verstanden. Dabei beträgt die kleinste Maschenweite 0,5 Millimeter. Die feineren Sedimentpartikel, zu denen etwa 90 Prozent des Materials gehören, werden ausgewaschen, um die winzigen Fossilien frei zu legen. »Mit dieser Methode wurden in der Vergangenheit schon beachtliche Erfolge in Balve erzielt und auch der neueste Fund des Zahns zeigt, dass wir damit spannende Ergebnisse erreichen können.«

Neuer Name mit Geschichte

Der neue Zahn ist nicht nur aufschlussreich und selten, er ist sogar einzigartig. Schwermann betont: »Der Grundaufbau der unteren Backenzähne dieser Tiergruppe war schon vor dem Fund bekannt. Die genaue Konfiguration ist jedoch artspezifisch. Und da weltweit kaum Zähne dieser Form aus der Zeit der Unterkreide bekannt sind, überrascht es wenig, dass es sich bei diesem Fund um den Beleg einer neuen Gattung und Art handelt.« Entsprechend kam den Forschenden die Ehre zu, einen neuen Namen für diese Säugetiergattung und art aufzustellen. Sie heißt nun Spelaeomolitor speratus. Was auf den ersten Blick unaussprechlich anmutet erzählt in der Ãœbersetzung eine Geschichte. Der Gattungsname Spelaeomolitor bedeutet so viel wie »Höhlenmüller«. Die Höhle meint dabei den Fundort, denn die Ablagerungen wurden vor 125 Millionen Jahren in unterirdische Karsthohlräume eingespült. Die Bezeichnung #Müller verweist auf die mechanische, mahlende Struktur, die für diese Tiergruppe so charakteristisch ist. Und die Artbezeichnung speratus bedeutet »erhofft« (lateinisch). »Dies ist also der lange erhoffte Höhlenmüller«, so Schwermann.

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