Gütersloh, Hartz IV in Gütsel, von Berndt Pfeifer
- Guido Westerwelles unglückliche Äußerungen zum Thema Hartz IV bewegen nach wie vor die Gemüter, auch Arbeitsministerin von der Leyen befasst sich mit dem Thema. Grund genug für uns, nach Gütsel zu blicken.
Gütersloh, Mai 2010
Von altrömischer Dekadenz, »geistigem Sozialismus« und dem Vollversorgerstaat polterte jüngst Bundesaußenminister Guido Westerwelle wie zu besten Oppositionszeiten. Seine Koalitionspartner sind da besonnener – Kanzlerin Merkel geht auf Distanz und Ministerin Ursula von der Leyen hat sich das Ziel gesetzt, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Nach dem letzten Stand vom Oktober 2009 gibt es in Gütersloh 6.716 #Hartz IV #Empfänger (Kreis Gütersloh 18.592), von denen 2.049 (im Kreis 5.736) nicht erwerbsfähig sind.
»Arbeitsangebote gibt es in Gütersloh praktisch gar nicht, sogar Praktikumsplätze sind schwierig zu finden«, so ein Betroffener. Zahlreiche ALG II Empfänger werden beispielsweise in Weiterbildungsmaßnahmen »geparkt«, um sie aus der Arbeitslosenstatistik herauszubekommen. Widersinnig ist dabei, dass die Betroffenen während dieser von der GT Aktiv finanzierten Maßnahmen gar nicht mehr vermittelt werden, weil sie in diesem Moment nicht arbeitslos sind. Einige Arbeitslose landen mit Glück in der Gütersloher ASH, bekommen dort einen Angestelltenvertrag und arbeiten dort. Allerdings sind diese Verträge befristet und es wird nichts in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt. Immerhin bemüht sich die ASH, den »Maßnahmlern« Qualifikationen und Bewerbungstrainings mit auf den Weg zu geben und bemüht sich beispielsweise um Praktikumsplätze.
Aus Sicht der Betroffenen hat sich die Zusammenlegung von Arbeitsamt und Sozialamt im Rahmen der Hartz IV Gesetzgebung unter Kanzler Schröder negativ ausgewirkt. Die langjährigen Sozialhilfeempfänger stehen seitdem auf einer Stufe mit Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben. Das wirkt sich nicht zuletzt auch in der Vermittlung negativ aus, vor allem aus Sicht potenzieller Arbeitgeber. Die GT Aktiv GmbH hat sich bei Betroffenen in #Gütersloh offenbar einen schlechten Ruf als »GT Passiv« erworben. Den Leistungsempfängern wird nach vielfältiger Aussage schnell mit Kürzungen gedroht. Uns wurde sogar von Hausbesuchen berichtet, bei denen die GT #Aktiv dann wegen der als sehr warm empfundenen #Wohnungen von Hartz IV Empfängern das Heizungsgeld gekürzt hat.
Lohnt sich Arbeit überhaupt?
Wahlkampfgetöse oder #Polemik? Was treibt Politiker und Menschen des öffentlichen Lebens dazu, Äußerungen wie »Warmduscher kommen nicht weit« von #Bundesbank Vorstand Thilo Sarrazin (SPD) und »Wer arbeitet, muss mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet« von Bundesaußenminister und FDP Chef Guido Westerwelle, zu verbreiten. Sind sie Realität und zeugen von Fachkompetenz? Oder sind diese Äußerungen ein verzweifelter Versuch, Monate vor der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen mit falschen Behauptungen das politische #Klima zu verändern, um Punkte zu sammeln?
Wir wollen Menschen aus dem näheren Kreis vorstellen, die aus den verschiedensten Gründen Hartz IV Empfänger geworden sind und seit Jahren alles unternehmen, um aus diesem Kreislauf herauszukommen. Keineswegs Einzelfälle, wie die aktuelle Arbeitslosenstatistik für den Monat Februar 2010 für den Bereich Gütersloh, nach Angaben der Agentur für Arbeit Bielefeld, belegt. Demnach nahm die Zahl der Arbeitslosen gegenüber dem Monat Januar um 3,9 Prozent auf 11.190 Personen zu. Auch wenn Thomas Richter, Chef der Bielefelder #Arbeitsagentur, die aktuellen Zahlen »moderat« nennt, lässt sich nicht darüber hinweg täuschen, das hinter jeder Prozentzahl Menschenschicksale stehen. Stimmt es, das sich Arbeit lohnt, gibt es überhaupt genügend Angebot des Zuverdienstes oder #Weiterbildungs Arbeitsangebote für Arbeitslosengeld II Bezieher? Einige von ihnen möchten aus Angst vor der #ARGE oder aus Scham ihren Bekannten gegenüber nicht mit Namen und Foto abgelichtet werden. Deshalb sind einige Namen geändert, ihre Geschichten aber Realität geblieben.
Günther Berg (30)
Günther Berg [Name von der Redaktion geändert] ist 30 Jahre alt und alleinstehend. Seit 2005 bezieht er Arbeitslosengeld II, also Hartz IV Leistungen. Nach seiner Schulausbildung begann Berg eine Ausbildung zum #Kfz #Mechaniker und beendete diese erfolgreich mit der Abschlussprüfung vor der IHK. Im direkten Anschluss erfolgte der Grundwehrdienst, danach bemühte sich Günter Berg sofort um eine Weiterbeschäftigung als Kfz Mechaniker. 2005 musste er sich schließlich arbeitslos melden. In den Monaten des Bezugs von ALG I erfolgte kein einziges Angebot von der Arbeitsagentur, trotz intensiver Bewerbungsphase musste Günther Berg sich nach einem halben Jahr erfolglos bei der für ihn zuständigen ARGE in Gütersloh melden, um ALG II zu beantragen. Es folgte der übliche Weg: Eingliederungsvereinbarung unterschreiben, Bewerbungen schreiben, ansonsten Kürzung der Leistung. Günther Berg erhält von der ARGE monatlich 318 Euro für Heizung und Unterkunft sowie 351 Euro zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Davon bleiben ihm nach Abzug aller laufenden Kosten 148 Euro zum Leben.
Mit Glück erhielt Berg auf eine Bewerbung hin eine halbjährig befristete Beschäftigung als Lagerist. Danach folgte wieder ALG II Bezug, die gleiche Prozedur wie vorher. Seit einigen Monaten steckt er nun in einer befristeten Beschäftigungsmaßnahme, in der er sich intensiv um eine Eingliederung ins normale Arbeitsleben bemüht. Diese befristete Maßnahme, mit einer täglichen Arbeitszeit von 8 bis 16 Uhr, bringt zusätzlich zu seinem Arbeitslosengeld II 1,50 Euro je Stunde – bei einer ganz normalen 35 Stunden Woche.
Eine ungewisse Zeit und bange Monate stehen ihm bevor, die er aber jetzt schon nutzt, und sich für den Fall einer Nichtverlängerung intensiv um eine Umschulung zum Fachlageristen mit IHK-Abschluss in Bielefeld kümmert. Hierbei übernimmt Berg sogar die Hürde der Finanzierung selbst, nur um dem Hartz IV Kreislauf zu entkommen. Ihm bleibt die Hoffnung auf Unterstützung durch das Arbeitsamt oder der zuständigen ARGE, in Form von Bildungsgutscheinen. Ohne Weiterbeschäftigung nach der jetzigen Maßnahme und bei Ablehnung der Umschulung, um die er sich selbst kümmert, bleibt wieder nur das ALG II und das Schreiben von Bewerbungen.
Klaus Müller (56)
Klaus Müller [Name von der Redaktion geändert], 56 Jahre alt, ist ledig und Vater eines unehelichen Sohnes. Seit Januar 2009 bezieht er Arbeitslosengeld II. Im Anschluss an seine Schulzeit hat er erfolgreich eine Ausbildung zum Tischler absolviert. In seinem erlernten Beruf arbeitete er ohne Unterbrechung, bis ihn nach 18 Jahren eine Krankheit zwang, eine Umschulung zum Industriemechaniker mit der Fachrichtung Feinwerkstechnik zu machen. Diese schloss Klaus Müller ebenso mit Erfolg ab. Im Anschluss an diese qualifizierte Ausbildung suchte er erfolglos eine Anstellung im Kreis Gütersloh, sodass Müller sich gezwungen sah, das damalige alte Arbeitslosengeld zu beantragen. Während dieser Bezugszeit forderte er selbst eine Qualifikationsmaßnahme für CNC Technik und etwas später für Elektrotechnik von der Arbeitsagentur Gütersloh ein.
Beide Qualifikationsmaßnahmen hatten eine Laufzeit von 5 bis 6 Monaten. Die anschließende Bewerbungsmaßnahme blieb erfolglos. Im Jahr 2007 hatte Klaus Müller das Glück und das Angebot einer #Leiharbeitsfirma, von der er als Industriemechaniker vermittelt wurde. Diese Anstellung endete im Zuge der #Weltwirtschaftskrise, weil die Firma zum größten Teil vom #Export abhing, und somit in einem Zug 200 Mitarbeiter entlassen musste. Und Müller gehörte zu den Betroffenen die sich arbeitslos melden mussten. Nach einem halben Jahr ALG I folgte 2009 der Antrag auf ALG II. Müller erhält den Regelsatz und es folgten Eingliederungsvereinbarung, vier Bewerbungen pro Monat – ansonsten Leistungskürzung, kein Angebot, das Räderwerk von vorne. In Folge Absagen über Absagen. Die Arge vermittelt Klaus Müller in die Qualifikationsmaßnahme »Solitär«, ein Bewerbungstraining mit EDV Kurs. Diese sechsmonatige Maßnahme lief im Dezember 2009 aus und seitdem wieder Bewerbungen und Absagen, ebenso Praktikunsanfragen ohne Erfolg. 2 Angebote von Leiharbeitsfirmen erhielt Klaus Müller in vergangenen Monaten, die sich aber als Irrtum herausstellten.