Stellungnahme der Selbsthilfeinitiative zu Chronischem Erschöpfungssyndrom (CFS/ME) zu den Anträgen im Bundestag für eine verbesserte Versorgung der Betroffenen
Konstanz, 6. Februar 2023
Deutscher Bundestag, Fraktionen, Gesundheitsausschuss, Ausschuss Arbeit und Soziales, BMG, BMAS
Stellungnahmen zu Anträgen im Deutschen Bundestag bezüglich verbesserter Versorgung von CFS/ME #Patienten
Sehr geehrte Damen und Herren,
zu den im Bundestag vorliegenden Anträgen zur Verbesserung der Versorgungslage von Betroffenen mit einem Chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS), beziehungsweise #Myalgische #Enzephalomyelitis (ME), nehmen wir als Selbsthilfeinitiative mit anliegenden Texten unsererseits ausführlich Stellung und fassen vorab die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.
Medizinischer Aspekt
Für die #Diagnostik des CFS/ME liegen gültige Kriterien vor: Kanadische Kriterienkatalog 2011, Diagnostische Schemata 2015. Es mangelt an der Bekanntmachung dieser Kriterien bei neurologischen #Fachärzten. Zur #Behandlung existiert die S3 Leitlinie »Müdigkeit« von 2022. Es fehlt an ursächlichen Therapieansätzen, weshalb die Forschung und Wissenschaft in diesem Bereich vorangetrieben werden muss. Die Einrichtung weiterer Spezialambulanzen zur Versorgung ist anzustreben.
Die Edukation bei Betroffenen ist zu stärken, damit diese auch in der Lage sind, entsprechende medizinische Anlaufstellen finden zu können. Praktischen Ärzten müssen die symptomatischen Therapieansätze, die zur Behandlung von CFS/ME bereits bestehen, besser zugänglich gemacht werden. #Mediziner sind in Attestierung und Differentialdiagnostik des CFS zu schulen. #Ärzte sind darüber zu informieren, dass sie laut Gerichtsentscheid befugt sind, Nahrungsergänzungsmittel auf Kassenrezept zu verordnen, wenn schwere Verläufe des CFS vorliegen und konservative Therapien keinen hinreichenden Nutzen bringen.
Sozialrechtlicher Aspekt
Die sozialrechtliche Einordnung von CFS/ME ist höchstrichterlich erfolgt und konnte über die Jahre durch zahlreiche Urteile umfassend abgeschlossen werden. Ein bloßer Erschöpfungszustand wird gemäß des im #Sozialrecht gültigen Äquivalenzprinzips folgerichtig als psychovegetatives Geschehen eingeordnet und beispielsweise im Schwerbehindertenrecht damit einer leichten bis mäßiggradigen Depression gleichgesetzt, im Erwerbsminderungsrecht führt er damit zu der gültigen Einschätzung einer höchsten teilweisen Erwerbsminderung und genügt damit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der Vergleichbarkeit von #Krankheiten herstellen muss.
Gerichte haben ausführlich dargelegt, welche Kriterien im sozialrechtlichen Sinn erfüllt sein müssen, damit ein Erschöpfungszustand als ein CFS/ME klassifiziert werden kann. Medizinische und sozialrechtliche Voraussetzungen müssen hierbei nicht zwingen übereinstimmen und können an unterschiedlichen Maßstäben ansetzen.
Entsprechend sind für höhere Grade der Behinderung, volle Erwerbsminderung oder auch Pflegeleistungen neben dem Vorliegen von neuroimmunologischen Korrelaten auch weitere Qualifizierungen der Erschöpfung notwendig, die über die alleinige psychische Ermattung hinausgehen. Beispielsweise kommt es auf dauerhafte kognitive Beeinträchtigungen mit Belastungsintoleranz, Muskelkraftdefizite oder massive Einschränkungen der Mobilität bis hin zur Bettlägerigkeit an, die vorliegen müssen.
Mit dieser Handhabung wird am Ende dem im Sozialrecht gültigen Ansatz entsprochen, wonach weniger die Ätiologie oder der Name der Erkrankung für die Einstufung von besonderer Bedeutung ist. Viel eher ist das individuelle Ausmaß der Intensität der vorliegenden Symptomatik und der daraus entstehenden Funktionsbeeinträchtigung mit Auswirkungen auf Teilhabe und Selbstständigkeit entscheidend.
Der Erschöpfungszustand muss sich also mit anderen Krankheitsbildern messen lassen, welche zu ähnlichen Störungen und Behinderungen führen. Geht die Ermüdung nicht über das psychische Funktionssystem hinaus, kann es nicht den Status einer körperlichen Erkrankung erreichen. Lediglich die Annahme, dass es sich bei Erschöpfung um ein CFS handelt, rechtfertigt nicht die Gleichsetzung mit einem neuroimmunologischen Krankheitsbild der Myalgischen Enzephalomyelitis.
Der Grundsatz der Vergleichbarkeit und Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben. Insofern kann kein Automatismus stattfinden. Eine Erschöpfung ist nicht zwingend als CFS anzusehen, auch wenn eine längerfristige Betroffenheit vorliegt. Viel eher müssen andere Ursachen für eine dauerhafte Ermüdung ausgeschlossen werden.
Sowohl im Schwerbehindertenrecht, aber auch im Erwerbsminderungsrecht und Pflegerecht ist der Abstufung der verschiedenen Varianten einer Erschöpfung bereits heute hinreichend entsprochen worden. Höchstrichterliche Rechtsprechung ergänzt die Handlungsanleitungen für Versorgungsämter, Rentenversicherung und Krankenkassen in genügender Weise. Dem Gutachter und Sachbearbeiter ist ein weiter Ermessensspielraum gegeben, bei einem tatsächlich gesicherten CFS auch entsprechend hohe Bewertungen vorzunehmen und umfangreiche Leistungen gewähren zu können. Gleichzeitig müssen sich Patienten, die keine ausreichenden Attestierungen über vollständige Diagnostik, Symptomatik und vorgenommene Untersuchungen vorlegen können, im Zweifel auch die am niedrigsten mögliche Einstufung hinnehmen, denn ihnen obliegt grundsätzlich eine Mitwirkungspflicht.
Es ist legitim, eine Erschöpfung ohne weitergehende Abklärung beim Facharzt einer funktionellen Genese zuzuordnen und daraus eine entsprechende Rechtsfolge im Anerkennungsverfahren von Behinderteneigenschaft, Erwerbsminderungsrente oder Pflegebedürftigkeit anzunehmen. Weitergehende Regelungen bedarf es daher nicht.
Es ist sicherzustellen, dass die bewerteten Abstände zwischen einer reinen Erschöpfungssymptomatik und syndromalen Bildern, bei denen zusätzliche Symptome hinzukommen und neben dem Funktionsbereich der psychischen Gesundheit weitere Systeme tangiert sind, eingehalten bleiben und damit Abstufungen erlauben.
Niederschwellige Versorgungslage
Das Selbsthilfewesen muss als Bezugspunkt für Betroffene, Angehörige und Experten gestärkt und in der Öffentlichkeitsarbeit unterstützt werden. Der #Erfahrungsaustausch von Patienten soll gefördert werden, beispielsweise durch mediale Kampagnen, Informationen in Praxen, in #Sozialen Medien.
Ergänzende Beratungsangebote (Psychologische Beratung, Sozialberatung, Ernährungsberatung und Familienberatung) und alternative #Heilverfahren sollen in die Versorgung eingebunden und bis zu einem gewissen Grad in interdisziplinäre Behandlung integriert werden. Betroffene Familien sollten bei Integrations- und Jugendämtern, aber auch bei Krankenkassen Ansprüche auf Haushaltshilfen, Erziehungshilfen und finanzielle Unterstützung als Ausgleichsleistung für krankheitsbedingten Mehrbedarf erhalten. Eine steuerliche Absetzbarkeit von Kosten für alternativen Heilweisen soll geprüft und gegebenenfalls umgesetzt werden, solange die konservativen Standardtherapien zur Behandlung des CFS/ME eingeschränkt sind und naturheilkundliche oder andere Therapieansätze im Einzelfall Linderung verschaffen können. Grundsätzlich sollte überdacht werden, die Mehrbedarfe – beispielsweise auch für bestimmte diätetische Maßnahmen – von chronisch Kranken wie CFS/ME Patienten stärker in der Höhe der Sozialleistungen wie Sozialhilfe, Bürgergeld, Erwerbsminderungsrente, Pflegegeld, Hilfen zum Lebensunterhalt, Hilfen zur Pflege oder Familienleistungen wie Kindergeld abzubilden und steuerfrei zu stellen.
Schlussfolgerung
Handlungsbedarf besteht in der Ausbildung und Weiterbildung von Hausärzten und neurologisch psychiatrischen Fachärzten, die in der Diagnostik, Befundung, Attestierung und Therapie des CFS/ME geschult und aufgeklärt werden müssen. Ärzte müssen über die symptomatischen Therapieansätze von CFS/ME unterrichtet und entsprechend auf dem Laufenden gehalten werden. Das CFS/ME muss in der Öffentlichkeit durch mediale Aufklärung und Einsatz der BZgA besser präsent gemacht werden. Antistigmatisierung ist nötig. Edukation bildet. Es braucht dringend Grundlagenforschung, die zum Ziel hat, eine ursächliche Behandlung von CFS/ME auf absehbare Zeit ermöglichen zu können und ein Verständnis für die Ätiologie und Kausalzusammenhänge der Krankheit zu schaffen, damit diese schneller diagnostiziert und Prävention betrieben werden kann. Das medizinische Fachpersonal ist insbesondere in der Differentialdiagnostik von Erschöpfungszuständen zu schulen, um andere Ursachen von Erschöpfung ausschließen zu können und damit die Befundung des CFS/ME zu erleichtern.
Der Lobbyismus für CFS/ME #Erkrankte darf nicht zu Lasten von Menschen mit anderen schwerwiegenden Krankheiten gehen, die weniger starke Fürsprache haben. Der psychosomatische Aspekt einer körperlichen Erkrankung wie CFS/ME muss offen diskutiert und Betroffenen als Teil der Krankheitsannahme sensibel erklärt und dargebracht werden. #Psychotherapie gehört zur multimodalen Behandlung dazu. CFS/ME-Patienten benötigen Anlaufstellen mit Lotsenfunktion, die beraten und vermitteln (beispielsweise Unabhängige #Patientenberatungsstellen, #Selbsthilfegruppen und #Verbände, #Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigung, Facharztgesellschaften).
Die Selbsthilfe wünscht sich ein weiteres Einbeziehen in die nächsten politischen Schritte und die geplante Hotline für Betroffene, wir stehen bereit dazu. Die Förderung von Ausbildung und Studium spezialisierter Neuroimmunologen sollte angestoßen und Plätze hierfür geschaffen werden. Neben Schwerpunktambulanzen an Kliniken sollten auch ausgewählte niedergelassene Praxen zertifiziert werden können. Ein Verbund von schwerpunktmäßig auf CFS spezialisierten Ärzten ist erstrebenswert. Ein sozialrechtliches Tätigwerden halten wir nicht für notwendig, da durch Gesetze und Urteile der Ermessensspielraum für individuelle Einzelfallentscheidungen gegeben ist. Insbesondere sind auch die Versorgungsmedizinischen Grundsätze hierzu ausreichend, denn die Einordnung einer Erschöpfung in den psychovegetativen Formenkreis ist ohne Hinweis auf eine manifeste CFS/ME-Erkrankung nachvollziehbar und gültig. Anerkennung der Rehabilitationsunfähigkeit bei echtem CFS (Belastungsintoleranz).
Für Ihre Fragen erreichen Sie uns gerne.
Beste Grüße, Dennis Riehle
Psychologischer Berater, Familienberater und Ernährungsberater, Sozialrecht (zertifiziert), Grundlagenmedizin (zertifiziert)
Anlagen
Gezeichnet, Dennis Riehle