Bürgergeld, neuer Name, alte Prinzipien? Einschätzung der Verbraucherrechtskanzlei Rightmart Rechtsanwälte
Große Reform oder doch nur ein neuer Name? »Wir haben für Sie den Gesetzesentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zum geplanten Bürgergeld genauer unter die Lupe genommen. Unsere Erkenntnisse« …
- Zur groß angepriesenen Reform taugt der Gesetzesentwurf nicht.
- Der Wegfall des Vermittlungsvorrangs könnte die Konfliktpotenziale zwischen Jobcenter und Leistungsbeziehenden verringern.
- Weiterhin keine transparenten und praxistauglichen Regeln zur Angemessenheitsprüfung von Wohnraum.
- Eigentum und Vermögen werden geschont, Zuverdienstgrenzen angehoben.
- Eine Erhöhung der Regelbedarfe um 40 bis 50 Euro erscheint realistisch, ist aber längst nicht ausreichend.
Bürgergeld, bestehende Probleme überwiegen geplante Änderungen
Bremen, 1. September 2022 – Das Bürgergeld soll Hartz IV ablösen. Doch welche Verbesserungen sieht der Gesetzesentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vor? Und hat das #Bürgergeld tatsächlich das Potenzial, Hartz IV zu überwinden? Eine Einschätzung der Verbraucherrechtskanzlei #Rightmart #Rechtsanwälte, die sich mit hartz4widerspruch.de für Leistungsbeziehende starkmacht.
Ausbildung und Weiterbildung im Fokus
Mit dem Vermittlungsvorrang würde ein ganz wesentlicher Punkt der Agenda 2010 entfallen. Dieser soll die bisherige Pflicht, im Zweifel jeden noch so unterbezahlten Job anzunehmen, ersetzen. Stattdessen wolle man die Aus- und Weiterbildung in den Fokus rücken, um Leistungsbeziehende dazu zu befähigen, sich langfristig selbst zu versorgen – und zwar bestenfalls in einem Job, der den eigenen Fähigkeiten entspricht. »Aktuell geht es darum, Leistungsbeziehende schnellstmöglich raus aus der Statistik zu bekommen. Stattdessen persönliche Neigungen und individuelle Lebensumstände bei der Auswahl der Tätigkeit zu berücksichtigen, ist hier definitiv der nachhaltigere Ansatz«, so Paul zu Jeddeloh, Leiter der Abteilung Sozialrecht der Verbraucherrechtskanzlei rightmart Rechtsanwälte. Besteht also Hoffnung, dass Arbeitsuchende künftig weitaus seltener zu fragwürdigen Maßnahmen wie Lama Spaziergängen, Murmelbahn Bau oder Zen Garten Pflege genötigt werden, um weiter ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können?
Auch setzt der Referentenentwurf auf positive Verstärkung statt Sanktionierung. Geplant ist beispielsweise ein Bürgergeldbonus in Höhe von monatlich 75 Euro für die Teilnahme an vereinbarten Maßnahmen, die innerhalb der Vertrauenszeit beginnen. Und apropos Vertrauenszeit: Diese gilt in den ersten sechs Monaten nach Abschluss des Kooperationsplans. Leistungskürzungen aufgrund von Verstößen – etwa der Ablehnung eines Vermittlungsvorschlags – entfallen in dieser Zeit, dürfen aber nach wie vor bei wiederholten Meldeversäumnissen oder nicht wahrgenommenen Terminen verhängt werden.
Eigentum und Vermögen werden geschont
Erleichterungen erwarten vor allem erstmalig Leistungsbeziehende: Für sie würde statt der bisherigen sechs Monate eine Schonzeit von 2 Jahren gelten, in der die Kosten für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe übernommen werden – unabhängig von Wohnungsgröße oder Miethöhe. »Das würde eine ungemeine Entlastung für jene bedeuten, die unerwartet in den Leistungsbezug rutschen, denn sie können sich zunächst einmal auf die Wiederaufnahme einer passenden Beschäftigung konzentrieren«, betont zu Jeddeloh.
Erst nach Ablauf der 2 Jahre findet die sogenannte Prüfung der Angemessenheit statt, die bis heute eine Vielzahl von Klagen vor den hiesigen Sozialgerichten zur Folge hatte. Die Angemessenheitsprüfung transparenter und im Allgemeinen gerechter zu gestalten, das hatte die Ampel im Koalitionsvertrag zugesagt. »Im Gesetzesentwurf zum Bürgergeld ist davon allerdings keine Rede mehr, was doch sehr enttäuscht«, so Rechtsanwalt zu Jeddeloh. Immerhin: Familien, die ein Eigenheim mit höchstens 140 Quadratmetern beziehungsweise eine Eigentumswohnung mit maximal 130 Quadratmeter und bis zu 4 Personen bewohnen, sind auch nach den 2 Jahren von der Angemessenheitsprüfung ausgenommen.
Positiv auswirken würde sich die Einführung des Bürgergeldes auch auf die Vermögenswerte der Leistungsbeziehenden. Erst ab einer Höhe von 60.000 beziehungsweise 30.000 Euro je weiterer im Haushalt lebender Person wird Vermögen angerechnet. Nach Ablauf der #Karenzzeit wird das #Schonvermögen auf 15.000 Euro pro Person in der Bedarfsgemeinschaft festgelegt. Neu ist auch die Übertragbarkeit höherer Vermögensbeträge einzelner Personen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft. Bislang orientierte sich die Höhe des Schonvermögens am Lebensalter.
Wer ehrenamtlich tätig ist, soll künftig jährlich zudem bis zu 3.000 Euro anrechnungsfrei aus dieser Tätigkeit hinzuverdienen dürfen. Weiter ist vorgesehen, dass Schüler, Auszubildende und Studenten bis 25, die nebenbei arbeiten, einheitlich zur neuen, ab Oktober geltenden Minijob Grenze bis zu 520 Euro monatlich einnehmen dürfen, ohne dass die Leistungen ihrer Eltern gekürzt werden.
Es braucht einen Kulturwandel in den Jobcentern
Wie sich das Bürgergeld auf die Praxis der Jobcenter auswirkt und ob es gelingt, in der Kürze der Zeit entsprechende Strukturen in den Einrichtungen zu schaffen, bleibt abzuwarten. Dass Jobcenter in Zukunft zu viel gezahlte Beiträge erst ab einer Bagatellgrenze von 50 Euro zurückfordern müssen, dürfte beispielsweise den Verwaltungsaufwand bei den Mitarbeitenden verringern. Ein Verzicht auf den Vermittlungsvorrang könnte das Konfliktpotenzial zwischen Vermittlern und den zu Vermittelnden außerdem deutlich verringern, sofern beide Parteien tatsächlich miteinander kooperieren, statt gegeneinander zu arbeiten und einander zu misstrauen. »Leistungsempfänger:innen stehen in den Jobcentern nach wie vor zu wenig im Mittelpunkt«, weiß zu Jeddeloh. »Hier braucht es vielerorts einen Kulturwandel.«
Dass das #Bürgergeld wirklich wie angekündigt zum Jahresbeginn 2023 kommt, ist fraglich. Nicht nur möchte die Bundesagentur für Arbeit den Start verschieben, um eine reibungsarme Umstellung zu gewährleisten. Auch die Parteien sind sich längst nicht einig, was zentrale Punkte anbelangt: »Die Höhe des Regelsatzes beispielsweise soll erst ab Herbst überhaupt diskutiert werden. Ein Konsens erscheint aktuell schwierig, da die Parteien hinsichtlich ihrer Vorstellungen weit auseinander liegen«, gibt der Rechtsanwalt zu bedenken. »Wir erwarten keine substanzielle Erhöhung der Regelbedarfe und halten 40 bis 50 Euro für realistisch.« Leider berücksichtigt dieser Betrag weder die aktuellen Preissteigerungen im Zuge von Inflation und Energiekrise noch die Tatsache, dass die Beträge seit jeher zu knapp bemessen sind. Kurzum: Zur groß angepriesenen Reform taugt der #Gesetzesentwurf nicht, doch ist er ein guter Anfang, um Hartz IV langfristig zu überwinden.
Über Rightmart Rechtsanwälte
Rightmart ist eine #Legal #Tech #Kanzlei, die Verbrauchern einen unkomplizierten Zugang zu Rechtsberatung und Rechtsbeistand ermöglicht. Mit seinem Verbraucherfokus deckt das Unternehmen die für Verbraucher:innen relevanten #Rechtsgebiete #Arbeitsrecht, #Mietrecht und #Verkehrsrecht ab und macht sich als führende Kanzlei im #Sozialrecht mit hartz4widerspruch.de für Leistungsbeziehende stark. rightmart hat es sich zur Aufgabe gemacht, Recht unabhängig von Einkommen, Vorwissen und guten Beziehungen zugänglich zu machen. In Form von kostenlosen Erstgesprächen bietet die Kanzlei ihren Mandanten eine risikofreie und unverbindliche Einschätzung und zeigt mögliche Handlungsoptionen und entstehende Kosten transparent auf.