KKH: Verflixte Sprache, immer mehr Kinder haben Probleme
- Jedes siebte Grundschulkind betroffen, Homeschooling kontraproduktiv?
Bielefeld, 13. Januar 2022
Viele Eltern werden sich fasziniert an die Sprachentwicklung ihres Nachwuchses erinnern oder sie aktuell erleben – vom anfänglichen Lallen über erste Wörter bis hin zu komplexen Sätzen. Sprache macht uns Menschen einzigartig. Doch immer mehr Kinder und Jugendliche weisen Sprach- und Sprechstörungen auf, wie Daten der KKH Kaufmännische Krankenkasse zeigen. So stieg die Zahl der 6 bis 18 Jährigen mit einer entsprechenden Diagnose von 2010 auf 2020 um rund 52 Prozent. Demnach sind fast acht Prozent der Heranwachsenden betroffen, sprich jeder 13., bei den 6- bis 10-Jährigen sogar jedes siebte Kind. Etwa jeder elfte Junge und jedes 17. Mädchen leiden darunter. »Die Art der Ausprägung von Sprachentwicklungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen kann vielfältig sein«, erklärt Miriam Rappe, Expertin für Atem-, Sprech- und Stimmtherapie bei der KKH. »Das reicht vom Unvermögen, bestimmte Laute zu artikulieren, über Wortfindungsstörungen bis hin zu Problemen, Sätze zu bilden oder zu verstehen.« Je früher Sprachentwicklungsstörungen festgestellt und therapiert werden, umso erfolgreicher kann die Sprachentwicklung unterstützt werden.
Forciert Corona Sprach- und Sprechprobleme?
In vielen #Familien verwandelte #Homeschooling durch die #Corona #Krise Kinderzimmer und Küchen über Wochen, ja Monate in Schulräume. Nicht jedes Kind konnte dabei auf elterliche Unterstützung zurückgreifen. »Vielen Kindern und Jugendlichen fehlte durch ausbleibenden Schulunterricht, Distanz- und Wechselunterricht etwas Entscheidendes: der direkte kommunikative Austausch mit Gleichaltrigen«, sagt Miriam Rappe. »Von Erlebnissen berichten, miteinander diskutieren, spielen, Witze machen, auch streiten und damit Sprache und Sprechen trainieren – das fiel während der Lockdowns weg.« Hinzu kommt, dass während der Pandemie Behandlungen bei Sprachauffälligkeiten nicht begonnen, frühzeitig beendet oder verzögert gestartet werden konnten. Und so könnte der Trend zu mehr Sprachentwicklungsstörungen, der sich seit einigen Jahren abzeichnet, durch die Pandemie mit all ihren Kontaktbeschränkungen noch verstärkt werden.
Spracherwerb braucht Zeit und Geduld
Der Spracherwerb von Kindern ist individuell und ein langer Prozess mit mehreren Etappen. Fängt ein Kind erst spät an zu sprechen, ist das noch kein Grund zur Sorge. Doch etwa mit dem dritten Lebensjahr sollte sich ein Kind mitteilen können und sein Wortschatz wachsen. »Auffälligkeiten im Spracherwerb können sich in einem späteren Sprachbeginn, einem geringeren Wortschatz oder eingeschränkten Sprachverständnis bemerkbar machen«, erläutert Logopädin Rappe. »Ursachen können fehlender Blickkontakt, Probleme beim motorischen Bilden von Lauten, Zahnfehlstellungen oder Wahrnehmungsstörungen sein.« Auch zu viele Stunden vor dem Fernseher oder PC können in Zusammenhang mit einer Sprachentwicklungsstörung stehen.
Ob eine Sprach- oder Sprechstörung vorliegt und behandelt werden sollte, ist für Eltern nicht leicht zu beurteilen. Sprachentwicklungsstörungen werden häufig im Rahmen der U-Untersuchungen vom Kinderarzt diagnostiziert und sollten von Logopäd:innen oder Sprachheilpädagog:innen therapiert werden. Denn Sprache ist unser Tor in die Welt. Sie ermöglicht Mitteilen und Verstehen und damit den Austausch mit unseren Mitmenschen in Kita und Schule, später in Ausbildung, Studium und Beruf. Sprachkompetenzen zählen in unserer mediengeprägten Gesellschaft längst zu den Kernkompetenzen. »Als Sprachvorbild fungieren oft Eltern oder enge Bezugspersonen. Daher ist es wichtig, dass sie sprachliche Kompetenzen aktiv fördern«, rät Miriam Rappe. »Sie sollten sich vor allem Zeit für ihre Kinder nehmen, um ihnen in allen Lebensphasen Sprachreize zu bieten – vom Blickkontakt über Vorlesen im Kleinkindalter bis hin zum Diskutieren im jungen Erwachsenenalter.« Damit helfen sie wesentlich, kommunikative Fähigkeiten aufzubauen, zu trainieren und zu entfalten und obendrein das Selbstbewusstsein ihres Nachwuchses zu stärken.