Andere Kultur, anderer Umgang mit Leid?

  • Erzbischof Becker begrüßt rund 120 Medizinerinnen und Mediziner zum 37. Ärztetag im Erzbistum Paderborn

Paderborn (pdp) Der Einfluss von #Kultur und #Religion auf den Umgang mit Schmerz und Leid stand am heutigen Samstag, 6. November 2021, im Fokus des 37. Ärztetages im Erzbistum Paderborn. Über 120 Medizinerinnen und Mediziner trafen sich erstmals wieder in Präsenz zu der renommierten Veranstaltung im Bildungs- und Tagungshaus Liborianum. Referenten aus Theologie und Medizin blickten auf kulturell unterschiedliche Wahrnehmung und Umgangsweisen mit Schmerz und Leid und die daraus folgenden Implikationen für das ärztliche Handeln. »#Schmerz und #Leid sind keine theoretischen Gebilde, auf die ich aus einer Distanz schauen kann«, sagte der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker in seinem Grußwort: »Sie werden von jedem von uns selbst erfahren.«

Erzbischof Becker tritt beim Ärztetag jedes Jahr in Dialog mit Medizinerinnen und Medizinern aus dem gesamten Erzbistum. Krankheiten seien inzwischen durch neue medizinische Möglichkeiten in vielen Fällen heilbar, erklärte der Paderborner Erzbischof bei der Eröffnung der Veranstaltung. Dennoch hätten Schmerz und Leiden ihre »existentielle Rätselhaftigkeit« bis heute nicht verloren. Kultur und Religion könnten in einer leidvollen Situation Halt geben und als Fundamente »Sinn- und Werthaftigkeit vermitteln, wenn wir sie am Nötigsten brauchen«, sagte der Paderborner Erzbischof.

Das Sprechen über kulturell geprägte Leiderfahrung könne im medizinischen Alltag zur Herausforderung werden. »Dennoch ist es wichtig, die durch Schmerz und Leid geprägten Situationen ins Gespräch zu bringen, um Symptome zu verstehen, Diagnosen zu stellen und angemessene Therapien durchführen zu können«, so Erzbischof Hans-Josef Becker. Die Medizinethnologie mache auf »kulturelle und religiöse Einstellungen als Orientierungssysteme“ aufmerksam, die „das Krankheitsverhalten maßgeblich beeinflussen können und in der Kommunikation eine entscheidende Rolle spielen.«

Leiden ist nicht das Eigentliche

Den Rahmen, den Erzbischof Becker mit seinem Grußwort abgesteckt hatte, füllten die Referenten des 37. Ärztetages mit Erkenntnissen aus #Medizin, #Theologie und #Ethik. »Leiden als Erlösung?« stand als Frage über dem Vortrag von Professor Dr. Aaron Langenfeld, seit wenigen Wochen Lehrstuhlinhaber für Fundamentaltheologie und Vergleichende Religionswissenschaft an der Theologischen Fakultät Paderborn. Im Christentum spiele das Leiden durch den Kreuzestod Jesu eine zentrale Rolle, erklärte der Theologe, der zugleich davor warnte, das Leiden zu verherrlichen: »Es geht in der Theologie nicht um die Frage, was Leid ist oder ob es der Schlüssel zur Erlösung ist, sondern darum, wie Betroffene damit umgehen und leben können.« Leiden dürfte als Teil des menschlichen Lebens nicht verdrängt werden. QAber Leiden ist theologisch gesehen nicht das Eigentliche des Lebens. Es bleibt immer die Hoffnung, das gut werden kann, was noch nicht gut ist«, so Prof. Dr. Langenfeld.  

Schmerzpatienten ernstnehmen

Privatdozent Dr. med. Torsten Meier ist Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie und stellvertretender Ärztlicher Direktor im Brüderkrankenhaus St. Josef Paderborn. Rund 23 Millionen Menschen in Deutschland würden unter chronischen Schmerzkrankheiten leiden, erklärte der Chefarzt. Weil die Schmerzen vom Umfeld oft nicht ernst genommen würden, drohe nicht selten soziale Isolation für Schmerzbetroffene. »Wer über Spiritualität oder seinen Glauben Ressourcen mobilisieren kann, überwindet seinen Schmerz oft leichter«, schilderte PD Dr. Meier seine Beobachtungen aus der ärztlichen Praxis. 

Deutung von #Schmerz

Professor Dr. Walter Bruchhausen ist Inhaber der Stiftungsprofessur »Global Health – Social and Cultural Aspects« am Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit des Universitätsklinikums Bonn. Der kulturelle Code sei keineswegs so prägend wie der genetische Code, erklärte Prof. Bruchhausen. »Dennoch sind Schmerzdeutung und Schmerzäußerung kulturell variabel«, sagte der Mediziner, Theologe und Ethiker im Hinblick auf seine Feldforschung zu traditioneller Medizin in Tansania. Hier werde unterschieden, ob Schmerzen als von Gott, anderen Menschen oder Ahnengeistern verursacht zugeschrieben und entsprechend behandelt werden. »Ich möchte Sie ermutigen, bei Patientinnen und Patienten anderer Kulturen mit Schmerzen immer nachzufragen: Was bedeutet das für Sie?«, plädierte der Mediziner für einen Behandlungsansatz, der über das rein Biologische hinausgeht.

Nach dem Input der Vorträge nutzen die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte das Podiumsgespräch mit den drei Referenten, das von Dr. Ulrich Polenz aus Paderborn moderiert wurde, zum Austausch. 

Ärztetag im Erzbistum Paderborn

Der Ärztetag im Erzbistum Paderborn ist ein interdisziplinäres Forum, um aktuelle oder grundsätzliche Fragen aus dem Bereich der medizinischen Ethik im Horizont des christlichen Menschenbildes zu reflektieren. Die Kirche von Paderborn stellt sich damit ihrer pastoralen und sozialethischen Verantwortung, sich am Dialog der Wissenschaften und der gesellschaftlichen Leitbilder zum Wohl des Menschen zu beteiligen. Zu der traditionsreichen Ärztetagung lädt der Erzbischof von Paderborn seit 1985 einmal jährlich in die Bischofsstadt ein. Der Ärztetag im Erzbistum Paderborn findet in Kooperation mit der Akademie für medizinische Fortbildung der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe statt.