Frankfurt (ots) Ein zentrales Thema unter Kapitalmarktakteuren und damit Bestimmungsfaktor für die Entwicklung von Anleiherenditen und Aktienkursen ist die Inflationsentwicklung, insbesondere in den USA und der Eurozone. Dabei dreht sich alles um die Frage, ob es sich um einen dauerhaften Preisanstieg oder ein temporäres Phänomen handelt. Verlässlich lässt sich heute selbstredend nicht sagen, was letzten Endes an Teuerung eintreten wird. Wer argumentiert, dass man es mit einem länger anhaltenden Preisauftrieb zu tun hat, der verweist gern auf die fiskalischen Impulse auf nationaler und supranationaler Ebene zur Überwindung der Wirtschaftsfolgen der Pandemie, die umfangreichen Bondkaufprogramme der Zentralbanken und den Konsum sowie Investitionsausgaben der Unternehmen.
Einen Strich durch die Rechnung könnten hier Virusmutationen wie die Delta-Variante machen, deren rasante Ausbreitung neuerliche Beschränkungen des öffentlichen Lebens nach sich ziehen – bis hin zu möglichen Lockdowns mit bekannten Folgen für Gesellschaft und Wirtschaft. Das würde auch den Teuerungsdruck wieder abebben lassen. Zu denken ist an die im Zuge der Pandemie gesehenen Ölpreiseinbrüche.
Ob die fiskalischen Impulse und die Bondkaufprogramme ausreichen, um Preisauftrieb in der Realwirtschaft auszulösen, oder ob dies nur zu weiteren Aufwärtstendenzen an den Finanzmärkten führt, muss abgewartet werden. Aus früheren Krisen ist bekannt, dass es oftmals nur Einmaleffekte waren (Abwrackprämie etwa), die Aktien und Anleihen antrieben.
An den Bondmärkten stellen sich Akteure aber zunehmend darauf ein, dass das Inflationsphänomen nur vorübergehend ist, und folgen damit den Einschätzungen führender Zentralbanker wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde und Fed-Chef Jerome Powell. Anhänger dieser Ansichten stützen ihre Argumentation im Wesentlichen auf vier Effekte. Erstens: Basiseffekt. Dies gilt etwa für die Energiepreise. Von niedrigen Niveaus aus gerechnet ergeben sich andere Steigerungsraten als im weiteren Verlauf von den dann höheren Niveaus. Zweitens: Einmaleffekte. Diese sind beim Konsum zu konstatieren. Wer in der Pandemie das Zuhause renoviert hat, einen neuen Fernseher kaufte oder das für Ferien zwangsläufig gesparte Geld für die Solaranlage ausgab, wird das nach Überwinden der Pandemie nicht jedes Jahr wieder tun. Entsprechendes gilt auch für (Neu-) Investitionen der Unternehmen, wobei hier auch noch ein Unsicherheitseffekt zum Tragen kommt.
Drittens: Nachholeffekt beim Konsum. Natürlich wollen viele Privathaushalte gern wieder ins Restaurant gehen, und auch die Sehnsucht nach der Fernreise oder dem Wochenendtrip ist groß. Das Shoppen im Einzelhandel wird auch nachgeholt, ließ sich aber auch online realisieren. Gerade bei den Nachholeffekten in Sachen Restaurantbesuch und vor allem beim Urlaub sind aber zwei limitierende Faktoren zu berücksichtigen. Dabei handelt es sich zum einen um das verfügbare Einkommen (inklusive Ersparnissen). Der Geldbeutel war auch schon vor der Pandemie eine Begrenzung für die Urlaubskasse. Zum anderen die Anzahl der Urlaubstage. Es reichen einfache Mathematikkenntnisse, um errechnen zu können, wie viele Wochen Ferien bei gut 30 Tagen Urlaub bei geschickter Ausnutzung von Feiertagen im Jahr möglich sind.
Viertens: Der Unsicherheitseffekt. Diese Pandemie hinterlässt in Sachen Unsicherheit tiefere Spuren in der Bevölkerung, aber auch bei den Unternehmen als etwa die Finanzmarkt- oder Staatsschuldenkrise der Eurozone oder eine zyklisch auftretende Rezession. Sorge um die Gesundheit und Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes werden nachwirken. Und auch die Unternehmen werden vermutlich nicht so freigiebig investieren, sondern das gänzliche Überwinden der Pandemie abwarten wollen. Diese Unsicherheit bedeutet im Umkehrschluss Nachfrage nach Sicherheit, wovon an den Kapitalmärkten die sicheren Häfen wie Bundesanleihen profitieren.
Die genannten vier Unsicherheitsfaktoren sprechen dafür, dass nach einem temporären Anstieg die Inflation in den nächsten Monaten wahrscheinlich auslaufen wird und die Teuerungsraten danach wieder auf moderatere Steigerungsraten zurückkommen werden. Die Renditerückgänge am Anleihemarkt signalisieren derzeit genau diese Annahme. Das würde auch bedeuten, dass die Notenbanken nicht über eine restriktivere Geldpolitik eingreifen müssen. Und was billiges Zentralbankgeld für Dax & Co. in der Vergangenheit bedeutete, ist hinlänglich bekannt.