Wieder einmal zeigt sich, dass das Medium die Botschaft ist. Und dass das problematisch ist. Eine Sirene sagt: Katastrophe! Sofort raus. Mehr kann sie auch nicht sagen. Diese erstklassigen Warn-Apps, die ja soviel gebracht haben und so gut funktioniert haben – zum Preis von ein paar Milliönchen – und von denen nur eine Handvoll Leute überhaupt wissen, sagen hingegen: Laut Soundso ist dann und dann in diesem und jenem Gebiet mit diesem und jenem Pegelstand zu rechnen. Klicken Sie hier, um sich die Pegelstände in einem ausgewählten Jahr anzeigen zu lassen. Scrollen sie nach rechts, um eine schöne Grafik anzuschauen, die in geschmackvollen Farben gehalten ist. Wenn Sie nach unten scrollen, finden Sie einen Google-Maps-Ausschnitt mit einem praktischen Routenplaner. Wenn sie diesen QR-Code scannen, werden sie auf eine Website weitergeleitet, auf der Sie im Untermenü Soundso weitere Informationen abrufen können. Gleichzeitig können sie Ihren persönlichen Lieblingspegelstand auch bei Facebook posten. Folgen Sie uns auf Twitter für aktuelle Informationen. Normalerweise müssten diese Apps im Katastrophenfall einfach rot blinken und es müsste auf dem Bildschirm stehen: »Raus aus dem Haus. Jetzt.« … Für Details gilt halt dann (oder sollte gelten): Radio einschalten. Aber wer hat schon noch groß ein Radio? Eigentlich sagt die Sirene noch nicht einmal »Sofort raus!« … es kann auch heißen: »Unbedingt im Haus bleiben!«. Sie sagt eigentlich nur: Es passiert gerade etwas Katastrophales. Was das ist? Da muss man sich dann irgendwie informieren. Unter Umständen ergibt es sich aus dem Kontext. In einem klassischen Überschwemmungsgebiet bei einem aufziehenden Unwetter wird es kein Großbrand sein, kein GAU eines Atomkraftwerks, kein Luftangriff und es wird auch nicht der Russe vor der Tür stehen. Würde er sowieso nicht. Geschenkt. Aber dann kommt natürlich ein weiteres Problem. Was tun? Kein Strom, kein Internet, kein Mobilfunk, kein Fernsehen. Was dann? Ein batteriebetriebenes Kofferradio? Wer hat so etwas? Und selbst wenn … wer würde das ernstnehmen? »Hier ist Tanina Rottmann aus dem besten Kreis der Welt! Verlassen Sie das Haus und bringen Sie sich in Sicherheit! Bei Lidl gibt’s heute die Streichwurst im Angebot! Hundert Gramm nur drei achtundneunzig! Und nun die beste Musik aus dem besten Kreis der Welt mit Susi Sorglos live aus dem Studio!« … Wer dazu etwas Sinnvolles sagen will, sollte sich zunächst mit den Themen »Black Swan« und »Antifragilität« beschäftigen und Taleb lesen. Zum Beispiel. Was nun passiert, ist das Erwartbare. Es werden Schuldige gesucht. Viele wissen, was man hätte besser machen können und anders hätte machen müssen. Was man in Zukunft anders machen muss – nämlich Maßnahmen, Konzepte, Klimaschutz, andere Warnsysteme, eine andere Politik, und so weiter und so fort. Post-Prävention am besten. Rückwirkend eben. Ein Beispiel für dieses Denken sind die Maßnahmen der Fluglinien nach 9/11. Und dass dann an neuralgischen Punkten und bei entsprechenden Anlässen plötzlich Militärs mit Maschinenpistolen rumstanden. Beispielsweise sind nun die Cockpittüren in den Flugzeugen unüberwindbar. Und was passiert? Man weiß es nicht genau, aber wahrscheinlich ist das passiert: Der Pilot geht aufs Klo, der Copilot dreht ab, drückt auf einen Knopf um die Tür zu verriegeln, und fliegt gegen einen Berg … und keiner kann mehr ins Cockpit gelangen, um ihn aufzuhalten. Soll das nun heißen, dass man besser nichts getan hätte? Natürlich nicht. Oder dass man besser nicht nichts tun sollte? Nein. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir »Sklaven des Zufalls« sind. Wir können erschreckend viel weniger tun, als wir glauben, tun zu können. Diese Erkenntnis, im Grunde genommen ein Kernaspekt des Buddhismus, kann befreiend wirken, in vielerlei Hinsicht. Die moderne Psychologie funktioniert letztlich genauso. Und dann kommt man ins Handeln. Und zwar man selbst. Marx hat ja in seinen »Feuerbach-Thesen« im Grunde genommen das Schwurbulantentum angeprangert. Nicht ganz zu Unrecht. Andererseits entspringt das Handeln dem Wollen. Und das Wollen dem Denken. Und ohne eine Idee geht es nicht, die will aber erstmal in die Welt gesetzt werden. Das tut eben die Philosophie. Aber dann passiert wiederum das: Die Erfindung der mechanischen Uhr hat mehr für die Aufklärung getan, als sämtliche Schriften aller Aufklärer zusammen.