Berlin (ots) Das EU-Parlament hat am 6. Juli 2021 die Ãœbergangsverordnung zur »ePrivacy-Verordnung« [1], auch »Chatkontrolle« genannt, angenommen. Diese soll dazu dienen, Missbrauch von Kindern und Jugendlichen einzudämmen, da derartiger Missbrauch oft online koordiniert wird oder mit Austausch kompromittierender Materialien, inklusive Bildern oder Videos, zwischen Tätern verbunden ist. Nach Inkrafttreten der Ãœbergangsverordnung dürfen E-Mail-, Messaging- und Chatanbieter die gesamte elektronische Korrespondenz ihrer Nutzer:innen anhand intransparenter Datenbanken und mit fehleranfälliger »Künstlicher Intelligenz« durchsuchen. Anbieter von Messengern sollen im Herbst in einem weiteren Gesetzesverfahren dazu verpflichtet werden, alle Inhalte auf illegale Materialien zu scannen [2].
Kritiker bezweifeln den Nutzen für Missbrauchsopfer, sehen derweil einen immensen Kollateralschaden für die Online-Sicherheit. Um Chat-Inhalte zu scannen, müssen Anbieter private Kommunikation, wenn auch automatisiert, mitlesen. Der EU-Parlamentarier Patrick Breyer (Piratenpartei Deutschland) kritisiert, dass automatisiertes Scannen zu fehlerhaften Warnungen führen wird, sodass Polizeien mit falschen Verdachtsmomenten überhäuft werden [2]. Selbst Betroffene von Missbrauch sorgen sich, dass die Aufhebung der Privatsphäre in Messengern den Zugang zu Hilfsangeboten erschweren wird, da Betroffene sich nicht mehr vertraulich online an Hilfsorganisationen wenden und offen über ihre Erfahrungen sprechen können [3]. Die Piratenpartei setzt sich daher deutlich für den Erhalt der Privatsphäre ein, während anderweitige Unterstützung für Missbrauchs-Betroffene ausgebaut werden kann [4].
Stefano Tuchscherer, stellvertretender politischer Geschäftsführer der Piratenpartei Deutschland, fordert einen stärkeren Fokus auf Hilfsangebote und Ermittlungskapazitäten: »Um Kinder und Jugendliche zu schützen müssen wir zunächst sichere Räume schaffen, in denen sich Betroffene von Missbrauch trauen, ihre Erfahrungen anzusprechen. Hilfsorganisationen, gleichwie Polizeien spielen hier eine zentrale Rolle, denn sie helfen diesen Betroffenen, sowohl Erlebtes zu verarbeiten, als auch die Täter dahinter zur Verantwortung zu ziehen. Dabei stehen der Polizei bereits online-Tools zur Verfügung, die aber gezielt gegenüber Verdächtigen und auf richterlichen Beschluss hin eingesetzt werden.«
Sebastian Alscher, Bundesvorsitzender der Piratenpartei, warnt davor, Ãœberwachungstechnologien immer umfangreicher einzusetzen: »Fehlerbehaftete Technologien werden zunehmend zur allgemeinen Ãœberwachung der Bevölkerung eingesetzt. Seinerzeit hat Edward Snowden öffentlich gemacht, wie Geheimdienste uns im Schatten des sogenannten ›Krieges gegen den islamistischen Terror‹ ausspähen, dieses Mal soll es unter dem Deckmantel des Jugendschutzes sein. In beiden Fällen wäre konventionelle Ermittlungsarbeit effektiver. Daher dürfen wir nicht unsere Online-Privatsphäre aufgeben, denn das öffnet das Tor zur Ãœberwachung - und könnte zukünftig von Regierungen mit autoritären Bestrebungen missbraucht werden. Gerade Deutschland hat unter zwei diktatorischen Regimen gelernt, was Bevölkerungsüberwachung bedeutet – nie Wieder!«
Quellen
[1] www.europarl.europa.eu/doceo/document/OJQ-9-2021-07-06_DE.html – »Verwendung von Technik zur Verarbeitung von Daten zwecks Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet (vorübergehende Ausnahme von der Richtlinie 2002/58/EG)«
[2] www.patrick-breyer.de/beitraege/nachrichtendurchleuchtung/
[3] digitalhumanrights.blog/missbrauchsbilder-chatkontrolle-interview-hanff/
[4] https://ots.de/BPnZ9J